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„Schwarzhörern" empfiehlt STEREO
monatlich die besten Schallplatten
des „Schwarzmarktes"
Ryan Adams
LOVE IS HELL
MFSL 3 LPs, sieveking-sound.de
Privates
Herzeleid
haben
von
Bessie Smith über Frank Sinatra
bis Joni Mitchell und Paul Simon
große Interpreten über Jahrzehnte
in denkwürdigen Songs artikuliert.
Und speziell auf das Thema gebro-
chene Herzen kamen nicht erst die
Stars der Country Music immer wie-
der zurück, davon handelten von
Mozart-Arien bis zu „torch songs“
des 19. Jahrhunderts schon vorher
weithin beliebte Ohrwürmer.
Als der blutjunge Ryan Adams
ein mit Gillian Welch und David
Rawlings fertig eingespieltes A l-
bum unveröffentlicht ließ, um ein
neues mit dem programmatischen
Titel „Heartbreaker“ als Debüt
vorzulegen, war seine (kleine)
Plattenfirma ob des spektakulären
Erfolgs höchst angetan. Als er keine
zwei Jahre später ein Album mit
dem kaum misszuverstehenden
Titel „Love Is Hell“ veröffentlichen
wollte, war dieselbe Firma dagegen
gar nicht erfreut. Gnädig gestattete
man ihm, die Aufnahmen sukzes-
sive auf zwei EPs zu präsentieren.
Die Songs kamen in der soge-
nannten „International Edition“
diesseits des Atlantik mit je zwei
Bonus-Tracks - und stießen bei
Kritik und Fans auf so begeisterte
Reaktionen, dass sich das Label
schließlich dazu durchrang, „Love
Is Hell“ im Mai 2004 auf einer CD
zu bringen, in Japan mit sieben
Zugaben auf einer zweiten.
Als private Beichte war das
Tribute-Projekt inspiriert von und
adressiert an Idole wie Radiohead,
Smiths und Jeff Buckley - mit einer
netten Verbeugung vor Oasis (der
Coverversion von „Wonderwall“).
Also nichts, was man diesmal
im weiter gefassten Begriff dem
Americana-Genre hätte zurechnen
können. Anders als Leonard Cohens
„Chelsea Hotel“ verband Adams bei
„Hotel Chelsea Nights“ nicht unbe-
dingt angenehme Erinnerungen mit
dieser New Yorker Herberge. Auch
in nostalgischen Reminiszenzen
wie „My Blue Manhattan“ oder
„English Girls Approximately“ (bei
Letzterer Marianne Faithfull assis-
tierend) wurde die Vergangenheit
nicht verklärt.
Das mit zwei unterschiedlichen
Begleitbands eingespielte Projekt
erstmals komplett einschließlich al-
ler auf CDs verstreuten Zugaben als
3-LP-Set zu bringen, war für MoFi
insofern keine heikle Entscheidung,
weil Adams und sein Produzent auf
exzellente Aufnahmequalität gro-
ßen Wert gelegt hatten. Abgedruckt
sind auch die Texte der vormals nur
in Japan publizierten Songs. Sehr
gute Überspiel- und Fertigungsqua-
lität.
Franz Schöler
Grace Jones
NIGHTCLUBBING
Island/Univetsal 2 LPs, erhältlich etwa bei
dacapo-records.de
Mein Gott, was war das mal für eine
Frau: ein Vamp schlechthin, eine
Göttin des Pop! Grace Jones wirkte
Ende der 7oer-Jahre wie aus der
Zukunft entflohen, um uns in eine
aufregendere, farbenfrohere Zeit zu
führen. Ihre Videos waren in puncto
Schnitttechnik und Bildgestaltung
ihrer Zeit weit voraus. Musikalisch
schweißte sie Reggae, Funk, Rock,
Pop und manchmal auch Tango zu
einer perfekten Mixtur zusammen.
Vor fünf Jahren versuchte sie ein
Comeback - sehr zum Ärger ihrer
NEUES AUF VINYL
Fans. Denn, abgesehen davon, dass
die Zeit selbst an ihr nicht schadlos
vorbeigegangen war, ist der Weg,
den sie bereitet hatte, inzwischen
von vielen Künstlern weitergeführt,
ja fast Mainstream geworden.
Aus ihrer kreativsten Phase, in
der ihre besten Platten erschie-
nen (nein, nicht „Slave To The
Rhythm“!), gibt es jetzt ein Dop-
pelalbum für relativ wenig Geld.
„Nightclubbing“ aus dem Jahre
1981 ist neben „Warm Leatheret-
te“, das ein Jahr zuvor erschien,
vielleicht ihr stärkstes. Wesent-
lichen Anteil daran hatten der
Schlagzeuger Sly Dunbar und der
Bassist Robbie Shakespeare. Auf
der Neuauflage finden sich neben
den neun Originalstücken, darun-
ter „Liebertango“ und die Dance
Floor-„Mördernummer“ „Pump Up
To The Bumper“, viele Party- und
Langversionen. Zudem gibt es
einen MP3-Download-Code oben-
drein. Soweit die gute Nachricht.
Jetzt die schlechte: Klanglich darf
man, gerade bei den Bonustracks,
nicht mehr erwarten
als
MP3
über das iPhone. Denn an die
deutsche Originalversion aus dem
Ersterscheinungsjahr (203 481 320)
kommt die Neuauflage bei Weitem
nicht heran. Diese klingt präziser,
authentischer, dynamischer. Rich-
tig übel wird es, wenn man die
US-Pressung (ILPS 9624) dagegen
hört, die klingt noch mal eine Ecke
satter. Ein Schreibfehler, der uns
auf dem Backcover aufgefallen ist,
bringt es auf den Punkt: „Digital
remstered“ (sic!). Das hätte man
vielleicht besser gelassen.
Ilham i DUzgUn
M ichael W ollny Trio
WELTENTRAUM
ACT LP, erhältlich etwa bei vinylkatalog.de
Mit diesem Album setzen Pianist
Michael Wollny und seine Mitmusi-
ker einen Paukenschlag. Einerseits
sind die Stücke, fast ausschließlich
Adaptionen der Werke prominenter
Komponisten aus verschiedenen
Ländern und Epochen, absolut ge-
lungen. Vor allem aber sorgt das
vitale Spiel des Trios für unüber-
hörbare Akzente. Hier findet Wollny
im erstmalig in dieser Formation
in die Basssaiten greifenden Tim
Lefebvre seinen konstruktiven Ge-
genpart. Dieser setzt auf Energie,
überrollt den Hörer zeitweilig mit
treibenden Clustern, während das
Schlagzeug fein gewebte Schleier
übers Klangbild spinnt. Gerechter
michael wollny trio
weltentraum
tim lefebvre
eric schaefer
Lohn für diese Qualität ist der
diesjährige „Preis der deutschen
Schallplattenkritik“.
Auf der 180-Gramm-Schallplatte
kommt der Tieftonbereich noch um
Nuancen voluminöser und druck-
voller als von der etwas dezenter,
aber nicht weniger durchsichtigen
CD. Damit trifft die LP nicht nur die
Erwartungshaltung der Analogfans,
sondern schürt obendrein perfekt
die leidenschaftliche Glut der
Musik.
M atthias Böde
Elem ent o f Crime
WEISSES PAPIER
Vertigo/Universal LP, erhältlich bei vinylkatalog.de
In einer Expertenumfrage der Zeit-
schrift „M usikexpress“ landete
„Weißes Papier“ vor einigen Jahren
auf Platz 23 der besten deutschen
Platten aller Zeiten. In der Tat: Kein
anderes Album der Berliner Band
glüht so romantisch wie dieses von
1 9 9 3
. In puncto Fertigung ist die
neuaufgelegte Scheibe für gut 20
Euro nicht uneingeschränkt zu emp-
fehlen: Unser Exemplar hatte einen
leichten Höhenschlag, zudem ist
das Mittelloch recht eng; auch hat
man leider die wunderbaren Texte
Sven Regeners, der später auch als
Buchautor („Herr Lehmann“) Furore
machte, nicht abgedruckt. Dafür
liegt ein Download-Code bei. Und
klanglich weiß das schwarze Gold,
bei dem mit relativ leisem Pegel
überspielt wurde, gegenüber der
CD zu punkten: Das Vinyl tönt im
Vergleich angenehmer, weniger
scharf, ohne dabei an Klarheit ein-
zubüßen.
Andreas Kunz
STEREO 7/2014 133